Evaluation des Browsergames „Spielfieber“: Akzeptanz, Effekte und Potential*

Im Folgenden möchten wir Ihnen Hintergrundinformationen zu „Spielfieber“, der Evaluation dieses Spiels und deren Ergebnisse sowie zu den beteiligten Akteuren geben. Danke an alle, die die Umfrage unterstützt haben.

Spielfieber – der Countdown läuft…

Das interaktive Browsergame „Spielfieber“ wurde von der Aktion Jugendschutz Bayern e.V. entwickelt und im November 2012 online veröffentlicht. Somit liegt erstmals im deutschsprachigen Kontext ein internetbasiertes Tool zur Glücksspielsuchtprävention vor (Tausend, 2013). Die Zielgruppe besteht primär aus spielaffinen, männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die über die mit Glücksspielen assoziierten Suchtgefahren lebensweltnah aufgeklärt und zu einem informiert-reflektierten Umgang mit Glücksspielangeboten motiviert werden sollen. Damit richtet sich das Programm nicht nur an eine wohlbekannte Risikogruppe (Hayer, 2012), sondern bedient sich darüber hinaus auch einer Informations- und Kommunikationstechnologie, die gerade bei der Generation der „Digital Natives“ einen hohen Stellenwert einnimmt.

Grundsätzlich kann „Spielfieber“ in unterschiedlicher Weise eingesetzt werden. Zum einen eignet sich das Tool als Medium für pädagogische Fachkräfte, um mit Jugendlichen zu verschiedenen Aspekten des Glücksspiels ins Gespräch zu kommen. Zum anderen bietet „Spielfieber“ Jugendlichen einen eigenständigen Zugang zur Thematik.

Erste Daten zum Erreichungsgrad von „Spielfieber“ klangen vielversprechend (Tausend, 2013). Etwa sieben Monate nach dem Startschuss Ende November 2012 konnten insgesamt bereits rund 66.000 Spielsessions verzeichnet werden. Dabei lag die Spieldauer im Durchschnitt bei ca. 15 Minuten, knapp die Hälfte aller Rezipienten spielte länger als 10 Minuten. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Gruppe die Hauptbotschaft des Spiels wahrnimmt.

Hintergrund

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Globalisierung des Glücksspielwesens, stetig expandierender nationaler Glücksspielmärkte und der damit verbundenen Steigerung der Spielanreize sind auch verschiedenartige Risiken, die mit dem Glücksspiel einhergehen, zunehmend in den Fokus gerückt. Dabei dominieren vor allem die dem Glücksspiel inhärenten Suchtgefahren den öffentlichen Diskurs. Empirische Befunde aus Deutschland auf der Grundlage von repräsentativ angelegten Bevölkerungsumfragen zeigen in diesem Zusammenhang in konsistenter Weise, welche Personengruppen sich als besonders gefährdet für die Entwicklung bzw. Manifestation von glücksspielbezogenen Problemen erweisen. Zu diesen Risikogruppen zählen nicht zuletzt Heranwachsende, obwohl der Gesetzgeber aus Gründen des Jugendschutzes eine Teilnahme am kommerziellen Glücksspiel unter 18 Jahren nahezu vollständig untersagt.

Der Einstieg in die „Welt des Glücksspiels“ wird im Jugendalter primär durch soziale Einflüsse (z.B. Familie, Peer-Gruppe) geformt. In dieser Entwicklungsphase gelten besonders diejenigen Spielformen als attraktiv, die leicht verfügbar sind, nur geringe Geldeinsätze verlangen, vom Nahumfeld akzeptiert werden und sich bei den Peers großer Beliebtheit erfreuen. Mit zunehmendem Alter wenden sich Jugendliche verstärkt kommerziellen Glücksspielangeboten zu. Als bevorzugte Spielorte konnten in der Vergangenheit vor allem Gaststätten, Spielhallen und das Internet identifiziert werden.

Also besteht ein dringlicher Bedarf an jugendgerechten Maßnahmen der Prävention, um individuellen Fehlentwicklungen möglichst frühzeitig und passgenau entgegenzuwirken. Mit dem Browsergame „Spielfieber“ steht ein derartiges internetbasiertes Tool zur Glücksspielsuchtprävention zur Verfügung.

Zielsetzung

Übergeordnete Zielsetzung der Studie war es, den präventiven Nutzen des interaktiven Browsergames „Spielfieber“ empirisch zu bestimmen. In erster Linie stellte sich die Frage, ob ein derartiger Präventionsansatz überhaupt geeignet ist, bei den Rezipienten Veränderungen auf der Einstellungs- und Wissensebene in Richtung Steigerung des Problembewusstseins bzw. Sensibilisierung für „Glücksspiel-Risiken“ hervorzurufen. Zusätzlich zu diesen Aspekten der Programmwirksamkeit sollte im Sinne der Programmakzeptanz geklärt werden, wie „Spielfieber“ bei der Zielgruppe ankommt. Eine weitere Aufgabe der Evaluation bestand in der Überprüfung möglicher iatrogener Effekte, da vielfach die Vermutung geäußert wird, dass sich Interventionen wie „Spielfieber“ als kontraproduktiv erweisen und mit Negativwirkungen unterschiedlicher Art (u.a. Stimulation von Neugier, Förderung der Absicht einer Glücksspielteilnahme) einhergehen können. Schließlich bezweckte die Untersuchung, wissenschaftlich abgesicherte Befunde für die Optimierung dieses Präventionstools zu generieren.

Methodik

Die Evaluationsstudie ist als Prä-/Post-Messung konzipiert. Alle Untersuchungsteilnehmer sollten im Vorfeld der Intervention (gleichbedeutend mit der Teilnahme an „Spielfieber“) online Stellung zu ausgewählten untersuchungsrelevanten Fragen beziehen. Danach wurde „Spielfieber“ gespielt. Unmittelbar im Anschluss an die Spielteilnahme erfolgte eine zweite internetbasierte Datenerhebung, die im Wesentlichen eine Veränderungsmessung darstellte. Eine Kontrollgruppe bearbeitete die gleichen Fragen, wobei diese zwischen dem ersten und dem zweiten Teil des Fragebogens nicht „Spielfieber“, sondern ein anderes „Placebo-“ Browsergame ohne bezug zu Glücksspielen spielte.

Das Studiendesign

Ob sich eine Spielteilnahme tatsächlich auch in Veränderungen in den Bereichen „Einstellung“ und „Wissen“ niederschlägt(= Programmwirksamkeit) und ob „Spielfieber“ bei der Zielgruppe ankommt (= Programmakzeptanz), ist Gegenstand der wissenschaftlichen Evaluation, welche im Auftrag der Aktion Jugendschutz Bayern e.V. von den renommierten Experten Dr. Tobias Hayer und Tim Brosowsky der Universität Bremen unabhängig durchgeführt wurde.

Das Studiendesign umfasste eine Prä-/Post-Messung mit einer Online-Befragung unmittelbar vor sowie direkt nach der Intervention. Während die zufällig der Experimentalgruppe (EG) zugewiesenen Probanden „Spielfieber“ testeten, spielten die Mitglieder der Kontrollgruppe (KG) ein alternatives Spiel ohne Glücksspielbezug.

Die Befragung

Die Zielpersonen im Alter von 12 bis 20 Jahren mit bzw. ohne Glücksspielerfahrung ließen sich primär über ausgewählte Online-Foren und soziale Netzwerke ansprechen. In Ergänzung zu dieser Rekrutierungsstrategie erfolgte die Datenerhebung auch in geschlossenen Settings, wie etwa im Klassenverband vor Ort in der Schule (über die direkte Kontaktierung von pädagogischen Fachkräften). Als Lockmittel diente generell die Möglichkeit, ein sogenannter „Spieletester“ zu werden und die Qualität eines neuen Online-Spiels zu bewerten. Die Phase der Datenerhebung erstreckte sich insgesamt über einen Zeitraum von drei Monaten, wobei der Beginn auf den 01.02.2014 fiel.

Evaluation_Postkarte_Front

Um aussagekräftige Befunde zu generieren und Effektmessungen der Intervention zuverlässig gegenüber Zufallsschwankungen absichern zu können, wurde eine Stichprobengröße – nach Datenbereinigung – von mindestens n=150 angestrebt.

Um die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit den Inhalten der Fragebögen und des Spiels zu gewährleisten, wurden weiterhin nur Teilnehmer in die Analysen aufgenommen, die weniger als 10% fehlende Angaben in allen Fragen der beiden Fragebögen zeigten und das Spiel bis zum Ende gespielt hatten. Eine Übersicht der verschiedenen Gruppengrößen ist in folgendem Überblick ersichtlich.

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Ausgewählte Ergebnisse

  • Am besten kam „Spielfieber“ bei Haupt- und Realschülern sowie Jugendlichen mit Migrationshintergrund und einer generellen Affinität für Computerspiele an.
  • Qualitative Auswertungen der verbalen Daten verweisen auf einen nennenswerten Wissenszuwachs in der EG, etwa in Bezug auf (professionelle) Unterstützungsmöglichkeiten beim Vorliegen einer Glücksspielproblematik.
  • Inferenzstatistische Vergleiche zwischen der KG und EG bestätigen, dass das Interesse am Glücksspiel durch „Spielfieber“ nicht gesteigert wird und somit derartige unerwünschte Nebeneffekte ausbleiben.
  • Mit der Intervention gehen Positivwirkungen im Hinblick auf die Sensibilisierung für glücksspielbezogene Risiken einher, operationalisiert über die Einschätzung des Gefährdungspotentials verschiedener Spielformen. Dieser Umstand trifft jedoch ebenfalls auf die KG zu, wenngleich weniger stark ausgeprägt.
  • Die Unterschiede zwischen KG und EG auf der Einstellungsebene sind statistisch bedeutsam: So führte insbesondere das erfolgreiche Durchspielen von „Spielfieber“ zu einer Verringerung von glücksspielbezogenen Fehleinschätzungen. Diese Veränderung bleibt bei den Gewinnern von „Spielfieber“ auch unter Berücksichtigung zahlreicher Störvariablen evident.
  • Um eine Verringerung von glücksspielbezogenen Fehleinschätzungen in der Population zu erreichen, müssten 8 Jugendliche (für einen kleinen Effekt), 11 Jugendliche (für einen mittleren Effekt) bzw. 30 Jugendliche (für einen großen Effekt) diese Intervention durchlaufen.

Bilanzierend bleibt festzuhalten, dass mit „Spielfieber“ auf ein innovatives und probates Tool zur Prävention der Glücksspielsucht zurückgegriffen werden kann, das im Rahmen einer Kombination aus verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen einen sinnvollen Beitrag zur Glücksspielsuchtprävention liefert.

Die Weiterentwicklung von Spielfieber

Auf Basis der Evaluation wurde „Spielfieber“ im Rahmen der Möglichkeiten weiterentwickelt. Zum einen wurde die virtuelle Umgebung ausdifferenziert. Beispielsweise gibt es jetzt verschiedene „Mini-Games“, die bei der „Arbeit“ erledigt werden oder auch ein „Meta-Game“, welches einen zusätzlichen Handlungsstrang mit dem Thema Sportwetten bildet und bei dem der Spieler Informationen von externen Web-Seiten einholen kann.
Ein weiterer Meilenstein ist die technische Anpassung für den Einsatz auf mobilen Endgeräten. Das Spiel wird künftig als App für Smartphones und für Tabletcomputer zur Verfügung stehen. Hierdurch erhöht sich dessen Verfügbarkeit und somit auch das präventive Potential. Auch Spielfieber 2.0 kann wie sein Vorgänger sowohl von Jugendlichen eigenständig gespielt, als auch von pädagogischen Fachkräften als Medium für die Arbeit zu diesem Thema genutzt werden.

Ansprechpartner

Gerne können Sie sich bei Nachfragen jedweder Art wenden an:

Daniel Ensslen
Referent für Prävention gegen Glücksspielsucht
Aktion Jugendschutz Bayern e.V.
Tel: +49 (0)89/12 15 73-19
Mail: ensslen (ät] aj-bayern.de

Dr. Tobias Hayer
Universität Bremen
Institut für Psychologie und Kognitionsforschung
Tel: +49 (0)421/218-68708
Mail: tobha (ät] uni-bremen.de

Akteure

Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e.V.
Schwerpunkte des Referats für Prävention gegen Glücksspielsucht der Aktion Jugendschutz Bayern sind sowohl die Entwicklung, Veröffentlichung und der Vertrieb praxisorientierter Materialien zur Glücksspielsuchtprävention als auch die Beratung, Schulung und Vernetzung von Multiplikatoren. Das Referat wird von der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern finanziert.
www.bayern.jugendschutz.de

Dr. Tobias Hayer, Universität Bremen
Dr. Tobias Hayer, Dipl.-Psych., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie und Kognitionsforschung der Universität Bremen. Herr Hayer forscht seit mehr als 12 Jahren im Bereich „Glücksspiele und Glücksspielsucht“ und hat diesbezüglich zahlreiche Publikationen vorgelegt. Ein Arbeitsschwerpunkt bezieht sich dabei auf das Thema „Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme“, zu dem Herr Hayer auch promoviert hat.
www.tobha.de 

Themenbezogene Literatur

Hayer, T. (2012). Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme: Risikobedingungen, Entwicklungsmodelle und Implikationen für präventive Handlungsstrategien. Frankfurt/M.: Peter Lang.

Tausend, U. (2013). Spielfieber Online! Pro Jugend 4/2013: Fachzeitschrift der Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e.V.: Online im Internet: https://www.spielfieber.net/wp-content/uploads/2014/02/proJugend_4_13_Spielfieber_Online.pdf

* Weite Teile sind entnommen aus dem Endbericht „Evaluation des Browsergames „Spielfieber“: Akzeptanz, Effekte und Potential“ von Hayer, T. und Brosowsky, T.; Bremen 2014. Weiter Literaturverweise und –angaben finden sich in diesem.